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Faire Gehälter bei farbenmeer (Teil 2)

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Tobias, Software development

Vor über einem Jahr haben wir bei farbenmeer entschieden, dass jede Kollegin und jeder Kollege das eigene Gehalt selbst bestimmen darf. Wie wir nach langen Gedankenspielen zu diesem Entschluss kamen, könnt ihr im vorangegangenen Blogpost lesen. Hier will ich euch über unsere Erfahrungen mit dem Modell berichten, was wir daraus gelernt haben und wie wir in Zukunft damit weiter machen werden.

Eines vorweg: Entgegen aller ökonomischen Prophezeiungen, bei denen ein selbst gewähltes Gehalt ein Unternehmen in kurzer Zeit in die Ruinen treiben sollte - da alle ihr Gehalt auf ein Maximum aufstocken - ist bei uns genau das Gegenteil passiert. Niemand hat das eigene Gehalt verändert. Obwohl sich zuvor viele ein etwas höheres Gehalt gewünscht hatten. Auch die - allen bekannten - Finanzen standen sehr gut, die Auftragsbücher waren voll. Und trotzdem: Niemand entschied sich das Gehalt zu ändern.

Die erste Gehaltsentscheidung

Nach ein paar Wochen passierte es dann doch. Ein Kollege verkündete, dass sein Gehalt nun steigen solle. Ein langer und ausgefeilter Text folgte. Er beschrieb, wie lange der Kollege das farbenmeer Team schon begleitet hat, welche Erfolge er erzielte, wie hart manche Durststrecken waren und sogar mit welchen menschlichen Fähigkeiten er unser Team bereichert hat.
Wir waren alle sehr überrascht über diese Ausführlichkeit. Es wirkte wie eine Präsentation vor einem CEO, bei dem harte Fakten vorgelegt werden müssen, damit man überhaupt einen Termin bekommt, geschweige denn einen Termin zur Gehaltserhöhung.
Im Vorfeld war ab diesem Zeitpunkt kein Prozess mehr erdacht worden. Und so versammelten wir uns erst einmal, um zu entscheiden, wie mit dem Gehaltsvortrag umgegangen werden soll.
Nach ein paar Gedankenspielen kamen wir zu dem Schluss, es sei das Beste, wenn wir jedem die Chance geben Kritik abzugeben. - Wohl gemerkt, Kritik ist immer sowohl negativ als auch positiv! - Man konnte sich entscheiden die Kritik direkt in der Runde zu äußern oder aber im Einzelgespräch zu Wort zu kommen. Jede Person entschied sich für ihre Form.
Später änderten wir diesen Prozess etwas ab. Die Person mit der Gehaltsentscheidung sagte den Anderen bescheid, dass sie nun im Konferenzraum sitzt und gerne die Meinungen der Anderen anhört, falls jemand etwas dazu zu sagen hat. Falls nicht, war dies auch okay und als Zustimmung zu verstehen.

Als dieser Prozess nun vorbei war und alle ihre Meinung abgeben konnten, konnte die Person mit dem neuen Wissen das Gehalt abändern, wenn sie wollte. Dies ist bei der ersten Gehaltsänderung nicht passiert und somit hat die Person entschieden, dass die ab dem nächsten Monat das neu gesetzte Gehalt bekam. Alle Kolleginnen und Kollegen waren sich einig, das Gehalt ist fair und gerechtfertigt. Es gab also sowieso keine Einwände.

Der Damm war gebrochen

Es schien, als haben alle nur auf diesen Moment gewartet. Denn nach dem das erste Gehalt geändert wurde, kam auch der Rest der Kollegschaft und passte ihr Gehalt an. Es gab nun einen Prozess und eine Person, die den Weg schon gegangen ist, an der man sich orientieren konnte. Auch ich selbst habe mein Gehalt erst dann angepasst. Vermutlich hatten wir alle etwas Angst davor die oder der Erste zu sein.
So wurden nach und nach alle Gehälter verändert.

Einige Kollegen übten sich - wie erwartet - in großer Zurückhaltung. Dies war uns schon im Vorhinein klar, dass es solche Personen geben wird und wir darauf achten müssen, auch diese Menschen zu motivieren ihr Gehalt anzupassen.

An dieser Stelle sei das Hochstapler-Syndrom angemerkt. Diese Menschen denken ihr Können sei nur eine schimmernde Fassade hinter der nichts steckt. Sie haben Angst, dass eines Tages die Maske fällt und heraus kommt, dass sie alles nur vorgegaukelt haben, nichts können und dafür utopische Gehälter kassieren. Sie denken sie sind Hochstapler - obwohl ihre Fähigkeiten im rationalen Vergleich ganz normal sind.
Diese Menschen gibt es im IT Bereich wohl häufiger und vor allem bei Frauen in einer immer noch männlich geprägten Domäne, kein Einzelfall.
Solltet ihr solche Menschen kennen, klärt sie auf, dass es dieses Syndrom gibt. Zu wissen, dass man damit nicht alleine ist, ist eine große Hilfe und ein erster Schritt in die Richtung, damit umzugehen!

Wir haben unsere übrigen Kolleginnen ermutigen können, ihr Gehalt an denen der Anderen zu orientieren. Sie haben ihr Gehalt ebenfalls nach oben korrigiert, wenn auch manche Texte nicht mehr so ausführlich ausgefallen sind, wie der Erste.

Ende gut alles gut?

Nein! Denn einen Fall einer sehr verzwickten Situation hatten wir dann doch.

Gegen Ende des Jahres 2019 wurde eine weitere Gehaltsentscheidung vorgebracht. Das Auszubildenengehalt sollte etwas erhöht werden. Der Grund hierfür war der, dass die Person mit dem aktuellen Gehalt noch einen weiteren Job am Wochenende machen musste, um ihre Rechnungen zu bezahlen.

An der Tatsache, dass wir nun nicht von einem "normalen" Gehalt redeten, sondern von einem Ausbildungsgehalt war ein Sonderfall.

Daran zerrieben sich die Geister. Es gab große Gegner*innen einer Erhöhung, mit den Argumenten dass das Gehalt im Ausbildungsvertrag definiert sei und schon sehr sehr überdurchschnittlich bemessen ist. Außerdem bringe eine Ausbildung mit sich, dass man etwas zurück stecken müsse, da die Firma nicht nur Geld sondern auch viel Anstrengung in die Ausbildung der Person stecke.
Und es gab die Befürworter mit den Argumenten dass der Mindestlohn zwar per Gesetz nicht für die Ausbildung gelte, wir aber jedem Menschen bei uns ein passables Leben ermöglichen wollen. Außerdem stehe farbenmeer nicht für Labels und solle auch nicht dementsprechend vergüten, sondern nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten

Die Diskussionen wurden zum Teil sehr emotional und hat sich auf mehrere Meetings ausgebreitet.
Um das kurz zu erwähnen, natürlich haben beide Seiten mit ihren Argumenten recht. Trotzdem war es furchtbar schwierig einen rationalen Konsens zu finden, bei dem alles mit einfließen konnte.
Zum Glück meldete sich dann eine Person zu Wort und meinte, warum wir bei dieser Gehaltsentscheidung denn nun auf einmal einen Konsens erwirken wollen, wo wir doch bei allen anderen Entscheidungen nur als Tippgeber fungieren, damit die Person ihre eigene Entscheidung noch einmal aus einem anderen Winkel reflektieren kann.
Darauf gab es keine Antwort, denn die Person hatte recht. Wir sind durch die emotionalen Diskussionen in eine Situation abgerutscht, in der die Vollzeit-Angestellten über das Gehalt der auszubildenden Person entscheiden wollten. Also waren wir genau in der Situation, die wir eigentlich vermeiden wollten, als wir sagten: Jede/r entscheidet für sich selbst, was auf dem Lohnzettel steht.
Und so lösten wir die Knoten auch auf. Wir beendeten das Meeting kurz darauf und sagten, die auszubildende Person habe nun alle Sichtweisen gehört und solle selbst eine Entscheidung treffen, allerdings erst am darauf folgenden Tag, um die Emotionalität aus der Entscheidung zu nehmen.

Am drauffolgenden Tag wurde dann die Gehaltsentscheidung endgültig getroffen. Die Person entschied sich das Gehalt etwas weniger zu erhöhen, als sie es ursprünglich angedacht hatte.

Weiterentwicklung der Idee - Das Gehaltsgremium

Aus der beschriebenen Konfliktsituation haben wir später eine neue Idee geschaffen. Warum soll sich jede Person mit jeder Gehaltsentscheidung auseinandersetzen? Unter der Annahme eines wachsenden Unternehmens, ist dies irgendwann sowieso nicht mehr machbar und frisst nebenbei Unmengen an Zeit auf. Wir brauchen also eine Instanz, die sich damit beschäftigt, die Wissen hat und im Namen der Anderen mitwirken kann.
Warum also nicht jedes Jahr ein paar Personen via Zufall bestimmen, welche die Finanzlage des Unternehmens kurz wiedergeben und dann kalkulieren kann, welcher durchschnittliche "Orientierungslohn" pro Kopf für die nächsten 12 Monate realistisch wäre. Dieser "Orientierungslohn" dient dabei nur als Hinweis, z.B. um welchen Faktor sich die Möglichkeiten im Vergleich zum Vorjahr geändert haben.

Und schon war die Idee eines "Gehaltsgremiums" geboren. Das Gremium besteht aus drei zufällig gezogenen Personen. Dabei gibt es jedoch Kriterien. Es muss mindesten ein Mann, eine Frau und eine Person die mindestens schon ein Jahr bei farbenmeer arbeitet im Gremium sein. Realisiert wird dies übrigens mit unserer eigenen kleinen Lotterie.
Neben den genannten Aufgaben sollen die Kolleginnen und Kollegen ihre Gehaltsänderungen an das Gehaltsgremium geben. Das geschieht ebenfalls einmal im Jahr. Das Gremium prüft dann, ob das neue Gehalt:

  • für die Firma finanziell machbar ist

  • im Vergleich zu anderen Personen zu niedrig oder zu hoch ist

  • die Inflation beinhaltet

Sind die Punkte in Ordnung, wird das Gehalt geändert und die Änderung allen Kolleginnen und Kollegen mitgeteilt. Sollte es einen Konflikt mit den Punkten geben, kann das Gremium einen Gegenvorschlag machen. Wird dieser jedoch abgelehnt, so können beide Parteien entscheiden die Situation zu eskalieren und weitere Kolleginnen und Kollegen hinzuzuziehen.
Dieses Gremium tagt zum ersten mal in diesem Jahr, also 2020. Es soll helfen Konflikte zu minimieren und allen eine Übersicht des Möglichen zu geben. Dabei kann das Gremium selbst empfehlen ein Gehalt hoch zu setzen, sollte die betroffene Person dies aus Zurückhaltung nicht tun, hat jedoch auch die Möglichkeit eine utopische Summe mit einem Gegenvorschalg auszubremsen und gegebenfalls zu eskalieren, also weitere Teammitglieder zu dieser Entscheidung hinzuzuziehen. Durch die zufällige Auswahl der Mitglieder wird eine Machtkonzentration verhindert.

Achja und die Gehaltsentscheidungen der einzelnen Mitglieder des Gremiums werden von den anderen beiden Mitgliedern geprüft. Auch hier wird durch das jährlich zufällig gewählte Gremium ein Missbrauch - durch übermäßige Erhöhungen innerhalb des Gremiums - verhindert.

Schlusswort

Wie ihr seht ist der Gehaltsprozess immernoch im Wandel. Wir versuchen ihn weiter zu verfeinern und sehen im Gehaltsgremium ein gutes Werkzeug um Extreme abzufangen aber trotzdem allen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit zu geben selbst zu entscheiden.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in einem Jahr auch hierüber unsere Erfahrungen berichten kann und weitere feine Anpassungen vorstellen werde, die wir gemacht haben.


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